DAS EVANGELIUM DER BARMHERZIGKEIT
Die Geschichte der FeG Auslandshilfe
Die FeG Auslandshilfe unterstützt seit Jahrzehnten mithilfe ehrenamtlicher Mitarbeitenden die bedürftigen Menschen vor Ort in Südosteuropa. Leiter Jost Stahlschmidt skizziert die Hilfe durch den Bund Freier evangelischer Gemeinden.
Neulich frage ich Manfred Eibach, Koordinator der FeG Auslandshilfe von 1995 bis 2006, wann alles begonnen hat. „1960“, antwortet er zu meiner Überraschung. Dann hätten wir uns allerdings heftig verrechnet, wenn wir uns 2019 an 30 Jahre Auslandshilfe erinnern. Tatsächlich gibt es die Auslandshilfe aus den Gemeinden des Bundes FeG schon sehr viel länger. Schon zu Zeiten des „Ostblocks“ oder „Eisernen Vorhangs“ zwischen Ost- und Westeuropa gab es Hilfsgütertransporte aus unseren Gemeinden, vor allem nach Rumänien.
HILFE FÜR RUMÄNIEN
Ein Rückblick: Unter der Diktatur von Nicolae Ceaușescu leiden große Teile der Bevölkerung Rumäniens unter extremer Armut. Vor allem mit Nahrungsmitteln und Kleidung versuchen Einzelne und Gemeinden aus der Bundesrepublik zu helfen. Unter kommunistischer Herrschaft wird der christliche Glaube unterdrückt: Das öffentliche Bekenntnis, der Besitz von Bibeln, christliche Versammlungen werden mit Gefängnis und Arbeitslager geahndet. Trotzdem fragen Glaubensgeschwister z. B. in Rumänien immer wieder nach Bibeln. So manche Hilfsgütertransporte, aber auch private PKW-Reisende haben sie in den Fahrzeugen versteckt.
1970 erleben Rumänien und benachbarte Länder „die schlimmste Flut seit Menschengedenken“, so eine rumänische Nachrichtenagentur. „Noch nie berichteten Presse und Rundfunk eines kommunistischen Landes mit Ausnahme von Jugoslawien derart ausführlich über eine Naturkatastrophe. Noch nie haben westliche Regierungen und westliche karitative Organisationen einem kommunistischen Land so schnell und wirksam geholfen“, so DER SPIEGEL vom 1. Juni 1970. Auch aus FeGs starten etliche Hilfstransporte nach Rumänien. Dadurch entstehen viele persönliche Kontakte und die Nothilfe wird weitergeführt.
1989 ist für Deutschland und Osteuropa ein historisches Jahr. Der „Eiserne Vorhang“ fällt, die Mauer zwischen der BRD und der DDR wird eingerissen. Schon im März 1989 unternimmt der damalige Bundesvorsteher Karl-Heinz Knöppel auf Einladung der Union der Evangeliumschristen die erste Reise nach Rumänien. Seine Berichte sind noch vertraulich, weil vom kommunistischen Regime Gefahr für die rumänischen Christen ausgeht. Eine Überschrift in einem Bericht von April 1989 lautet: „Ein schönes Land mit zu viel Polizei und zu wenig Lebensmitteln.“
ZENTRALE KOORDINATION
Im Herbst 1989 bittet die Bundesleitung Pastor Paul Lenz, die im Bund Freier evangelischer Gemeinden bestehenden Hilfsinitiativen für Rumänien und weitere Staaten des Ostblocks ehrenamtlich zu koordinieren und neu zu ordnen. So entsteht zuerst die „Rumänienhilfe“ des Bundes FeG. Die Notlage, die sich Paul Lenz und den ehrenamtlichen Fahrern in Rumänien auftut, ist dramatisch.
Es fehlt an allem: an Grundnahrungsmitteln, Kleidung, Medikamenten usw. Vor allem die Situation in Kinderheimen und unter alten Menschen ist unbeschreiblich, kommt oft nur einem Vegetieren gleich. Im damaligen „Gärtner“ werden die ersten erschütternden Berichte von Paul Lenz veröffentlicht. Aufgrund der großen Not und vieler Hilferufe müssen von Beginn an klare Kriterien für die Nothilfe aufgestellt werden. Viele Gemeinden beteiligen sich, spenden Lebensmittel und Kleidung.
HILFERUF AUS BULGARIEN
Ende 1990 erreicht die FeG Rumänienhilfe ein Hilferuf aus Bulgarien. Auf einer Konferenz in Deutschland lernt Paul Lenz Christo Kulitschev kennen. Er ist Pastor der ersten evangelischen Kirche von Sofia, Bulgarien. Aufgrund seines Glaubens ist er über Jahre in Haft gewesen. In dem Hilferuf beschreibt er, woran es fehlt: Mehl, Reis, Haferflocken, Milchpulver, Kakao, Kaffee, Käse, Seife, Waschpulver, Medikamente … Die Liste ließe sich endlos verlängern. Die humanitäre Hilfe für Bulgarien läuft an.
Anfang Januar 1991 setzt sich die damalige Bundesleitung mit einem Protestschreiben beim Botschafter der Volksrepublik Bulgarien dafür ein, „in Ihrem Lande die Menschenrechte und Religionsfreiheit zu verwirklichen“. Karl-Heinz Knöppel und Jürgen Hedfeld verwenden sich dafür, „dass alle gewählten Amtsträger in der Union of Evangelical Congregational Churches wieder eingesetzt werden“. Eine Kopie dieses Schreibens geht an Außenminister Hans-Dietrich Genscher.
UNTERSTÜTZUNG VON PARTNERGEMEINDEN
Aus der Rumänienhilfe wird das „Auslandshilfswerk des Bundes Freier evangelischer Gemeinden“. Schwerpunkte sind die humanitäre Hilfe mit Hilfsgütertransporten und Unterstützung der Partnergemeinden. Ihre Gemeindehäuser sind alt und baufällig, es fehlt an finanziellen Mitteln, handwerklichen Kräften und Baumaterial. Gruppen von deutschen Helfern reisen zu Baueinsätzen nach Bulgarien und in den Kosovo.
Die FeG Auslandshilfe wird von Anfang an getragen von dem unermüdlichen Engagement unzähliger ehrenamtlich Mitarbeitender aus den Gemeinden, in der Logistik und bei den Transporten. Paul Lenz leitet die wachsende FeG-Hilfsorganisation bis 1995 ehrenamtlich und engagiert sich Jahre darüber hinaus vor allem in Bulgarien. Er setzt sich auch dafür ein, dass die Union der evangelikalen kongregationalen Gemeinden Bulgariens (UECC) in den Internationalen Bund der Freien evangelischen Gemeinden (IFFEC) aufgenommen wird.
VERBUNDENHEIT DER GEMEINDE JESU
1995 hat die Auslandshilfe ein Ausmaß erreicht, das ehrenamtlich nicht mehr zu stemmen ist. Pastor Manfred Eibach wird als Hauptverantwortlicher für die Koordination und Durchführung der Hilfsleistungen berufen. Es entsteht das Referat „FeG Auslandshilfe“. Elf Jahre lang koordiniert er die humanitäre Hilfe für Südosteuropa. Zu Rumänien und Bulgarien kommen (Nord-)Mazedonien, Ungarn, der Kosovo, Moldawien und die Ukraine dazu.
1997 fahren vier Lastzüge fast ununterbrochen in die Länder. Die ehrenamtlichen Fahrer transportieren nicht nur Hilfsgüter, sondern bringen die Liebe der Schwestern und Brüder aus Deutschland. Sie drücken die Verbundenheit der Gemeinde Jesu aus: Sie beten, reden und ermutigen, es entstehen Freundschaften. So wird das Evangelium der Barmherzigkeit Gottes über Grenzen hinweg gelebt. Die Freudentränen der Dankbarkeit über alle persönliche und materielle Zuwendung sind unermesslich.
KLINIK: ZEICHEN DER HOFFNUNG
Die vielen Kontakte zu Partnern, die zunehmenden diakonischen Initiativen und Projekte erfordern 1999 eine Gesamtleitung. Pastor Karl Gerhard Köser wird als Referatsleiter berufen. Verantwortlich für Lager, Logistik und Transporte bleibt Manfred Eibach. Nothilfe allein ist nicht nachhaltig. Was können wir tun, um Menschen in Südosteuropa nachhaltig zu helfen? Schon durch Besuche und Kontakte von Paul Lenz ist eine Beziehung zu Gotse Delchev, einer kleinen Stadt in einer strukturschwachen Region im Südwesten
Bulgariens entstanden. Extreme medizinische Unterversorgung und viele Menschen ohne Krankenversicherung fordern zum Handeln heraus. Das Besondere ist, dass sich in Gotse Delchev eine Partnerschaft zwischen der Stadt, vertreten durch Bürgermeister Vladimir Moskov (s. Dankeswort in CHRISTSEIN HEUTE 12/2019, S. 5), und der FeG Auslandshilfe entwickelt.
In dieser Partnerschaft entsteht mit Spenden aus dem Bund Freier evangelischer Gemeinden die „Deutsche Klinik Zeichen der Hoffnung“. Unternehmer Friedhelm Loh unterstützt den Bau massiv, 2001 wird sie eröffnet. 14 Jahre wird sie von Gottfried und Johanna Müller geleitet, bis sie 2015 in bulgarische Hände gegeben wird. Als Träger der Klinik wird die deutsch-bulgarische Stiftung „Zeichen der Hoffnung“ gegründet. Klaus Kanwischer, Geschäftsführer des Bundes FeG, ist von Beginn an mit im Vorstand.
FÖRDERZENTRUM UND MUTTER-KIND-ZENTRUM
In dem Magazin der Friedhelm Loh Group wird berichtet: „10.000 Menschen haben in 2004 die ‚Deutsche Klinik Zeichen der Hoffnung‘ in Gotse Delchev/Bulgarien betreten. Eine stolze Zahl! Über 6.000 von ihnen kamen als Patienten. 354 wurden operiert. […] Menschen aller sozialen Schichten sitzen in der Eingangshalle und hoffen auf Hilfe. […] Niemand fragt nach ihrem Einkommen und Herkommen.
Es ist gerade die Freundlichkeit, die neben der medizinischen Kompetenz immer wieder gelobt wird. […] Nun bekommt die Klinik eine Schwester! Am 10. September 2005 wurde in Gotse Delchev der erste Spatenstich für den Bau des Tagesförderzentrums ‚Zeichen der Liebe‘ vollzogen.“
Die Klinik wie auch das Tagesförderzentrum werden mit Spenden aus Deutschland finanziert. 2007 werden die ersten Kinder mit Behinderung aufgenommen. Vierzehn bulgarische Fachkräfte können eingestellt werden. Das Sozialministerium hilft mit Subventionen. Heute ist es ein Zentrum mit über 100 Plätzen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen und über 40 Mitarbeitenden. Eine Modelleinrichtung über Bulgariens Grenzen hinaus.
Weitere Partnerschaften entstehen, wie zum Beispiel zur Stiftung „Alte Menschen in Not“ in Ungarn. Besondere Aufmerksamkeit bekommt die Gründung des Mutter-Kind-Zentrums „Lebenszeichen“ in Bukarest, Rumänien. „Lebenszeichen“ nimmt sich der Not von Müttern an, die ohne diese Hilfe ihre Neugeborenen in den Kliniken zurücklassen würden. Tausendfach passiert das bis heute in Rumänien. Die FeG Auslandshilfe engagiert sich umfangreich in der Entwicklung dieser Einrichtung, die dauerhaft ausgebucht ist und unzähligen Müttern mit ihren Kindern zu einem selbstständigen Leben verhilft.
HILFSORGANISATION FÜR SÜDOSTEUROPA
Nach neun Jahren verlässt Karl Gerhard Köser die FeG Auslandshilfe und geht wieder in den Pastorendienst. Auf ihn folgt Dieter Happel, ein Banker. Die FeG Auslandshilfe hat sich zu einer Hilfsorganisation für ganz Südosteuropa entwickelt. Mit seiner Kompetenz sorgt Dieter Happel für Struktur und Stabilität, unter seiner Leitung werden aus Initiativen und Projekten diakonische Einrichtungen. Aus der Stiftung „Zeichen der Hoffnung“ wird die Stiftung „Zeichen der Liebe“. Das Mutter-Kind-Zentrum „Lebenszeichen“ wird bis 2015 durch einen modernen Anbau erweitert. Von anfänglich sechs Müttern können zwölf Mütter mit bis zu 16 Kindern aufgenommen werden. Ende Januar 2015 wird Dieter Happel in den Ruhestand verabschiedet und übergibt die SIM-Karte seines Diensthandys an Pastor Jost Stahlschmidt.
EHRENAMTLICHE ALS TRAGENDE SÄULE
Im Januar 2009 übernimmt Christoph Lantelme die Verantwortung für Lager, Logistik und Transporte. Unter seiner Leitung wächst ein großes Netzwerk von Organisationen, Firmen, ehrenamtlich Mitarbeitenden und Gemeinden. Mittlerweile werden die Hilfstransporte in acht Länder Südosteuropas entsendet. Ca. 150 ehrenamtlich Mitarbeitende aus den umliegenden Gemeinden sortieren, prüfen und packen die Kleidung, die aus ganz Deutschland zusammenkommt. 60 ehrenamtliche Fahrer sind regelmäßig mit unseren 40-Tonnern tausende von Kilometern unterwegs. Die tragenden Säulen der FeG Auslandshilfe sind die ehrenamtlich Engagierten. Seit 30 Jahren ermöglichen sie es, dass tausenden von bedürftigen Menschen in Südosteuropa ein menschenwürdiges Leben, Bildung, gesellschaftliche Teilhabe, Zukunft und Hoffnung eröffnet werden.
LIEBE GOTTES WIDERSPIEGELN
Es ist das Anliegen von Paul Lenz, dass sich in aller Hilfe für die Länder Südosteuropas die Liebe Gottes widerspiegelt. 1991 schreibt er im „Gärtner“, der Zeitschrift des Bundes FeG: „Die Gottesfrage geht verstärkt durch die osteuropäischen Länder, die aus dem Gefängnis der Unterdrückung und Entmenschlichung ausgebrochen sind. An dieser Frage nach Gott wird sich auch die Zukunft dieser Länder entscheiden und daran, wie wir ihnen dabei helfen, wieder Boden unter den Füßen und in ihren zerschundenen Herzen zu finden.“
In 30 Jahren hat sich manches zum Guten entwickelt. Dazu durfte die FeG Auslandshilfe beitragen. Gott sei Dank! Dennoch bleibt unsere Hilfe not-wendend, denn die Entwicklung geht nur sehr langsam voran. Die geistliche und materielle Not ist unvermindert groß. Der Ruf nach Hilfe, auch aus unseren Partnergemeinden, ist nach wie vor laut. Wir wollen ihn auch in Zukunft nicht überhören.
JOST STAHLSCHMIDT | Leiter der FeG Auslandshilfe seit Februar 2015 | auslandshilfe.feg.de